EKKEHARD GNADLER PHOTOGRAPHIEN

EKKEHARD GNADLER

PHOTOGRAPHIEN

DER GROSSE KOMET 1997

„Im Frühjahr 1997 erschien der spektakulärste Komet der letzten tausend Jahre. Während achtzehn Monaten konnte der nach seinen Entdeckern genannte Komet Hale-Bopp mit bloßem Auge gesehen werden, länger als irgendein anderer Schweifstern vor ihm. Man kann davon ausgehen, dass kein anderer Komet jemals von so vielen Menschen wahrgenommen wurde. Hinzu kam, dass das sich um 1996 stark verbreitende Internet erheblich zum beispiellosen Interesse an Hale-Bopp beitrug. Auf zahlreichen Webseiten konnten Details und die Flugbahn mit täglich neuen Bildern verfolgt werden. Als der Komet am 1. April 1997 sein Perihel durchlief, hatte er sich mit einer scheinbaren Helligkeit von etwa −1 mag. zu einem eindrucksvollen Himmelsschauspiel entwickelt. Er schien heller als jeder Stern, bereits fast so hell wie Sirius, und sein geteilter Schweif erstreckte sich über einen Winkel von 30° bis 40° über den Himmel. Er war bereits zu sehen bevor es richtig dunkel wurde, und blieb auf der Nordhalbkugel die ganze Nacht über sichtbar.

Ich habe damals an jedem klaren Abend einen Spaziergang gemacht und die großartige Erscheinung in der Nähe von Fulda oftmals beobachtet. Ich erinnerte mich an meinen Großvater, Jahrgang 1904, der uns in den 1970er Jahren erzählte, wie er als 6-jähriger Knirps 1910 den berühmten Halleyschen Kometen gesehen hatte und ihn herrlich fand. Damals flog die Erde quer durch den Staubschweif und Halley war groß.

An Digitalfotografie war noch nicht zu denken: 1997 nicht wirklich, und 1910 natürlich schon gleich gar nicht. So kam ich auf die Idee, eine alte Rolleicord, Baujahr 1958, aus dem Schrank zu holen und einen Schwarz-Weiß-Rollfilm im Format 6 x 6 cm einzulegen. Es sind neun Photographien von Hale-Bopp mit dem Schneider-Kreuznach-Objektiv „Xenar“ mit 75 mm Brennweite entstanden, etwa so, also schriebe man nicht das Jahr 1997 sondern eher 1897. Der im eigenen Labor (eine temporär und abenteuerlich umgebaute Küche in meiner damaligen Fuldaer Wohnung) entwickelte Ilford HP 5 Plus zeigte dann doch wie erhofft den Kometen als gut erkennbare Erscheinung. Denn ich hatte weder Belichtungsmesser, noch einen Vergleich, noch Erfahrung, und schon gar keine Ahnung, wie lange der Verschluß der Kamera überhaupt offen sein sollte, um das besondere Licht einer sehr weit entfernten Erscheinung auf den Film zu transportieren. Etwa eine Minute war die Belichtungszeit, in der Stadt etwas kürzer wegen den vielen künstlichen Lichtquellen. Erstaunlich, wie gut sich Hale-Bopp dagegen behauptete.

Hilfe fand ich in jenen Tagen bei den Astronomen der Hans-Nüchter-Sternwarte zu Fulda, die mir freundlicherweise ermöglichten, die Rollei auf dem altehrwürdigen 30 cm Newton-Teleskop zu befestigen, nachdem -etwas zeitbeanspruchend- ein passender Adapter gefunden wurde. Während wir am späten Abend den Kometenkern im Newton-Teleskop bei 200-facher Vergrößerung genussvoll beobachteten, erfolgte eine fünfminütige Belichtung mit motorischer Nachführung auf der schweren, parallaktischen Montierung. Damals musste man bei Filmbelichtungen noch den sogenannten Schwarzschild-Effekt beachten, der besagt, daß ab einer Belichtungszeit von mehr als einer Sekunde das Reziprozitätsgesetz aus Blende und Belichtungszeit nicht mehr gilt. Es musste bei längeren Belichtungszeiten wesentlich länger belichtet werden als linear ermittelt, um eine gute Schwärzung zu erhalten. „Fünf Minuten müssten reichen, sonst wird der Himmel der Stadt zu sehr aufgehellt im Vergleich zum Kometenschweif…“ sagte der diensthabende Astronom. Das war noch zu jener Zeit als man nicht nach jeder Aufnahme den Kopf senkte, um ein Ergebnis an einem Display zu betrachten. Das Warten auf die Negative hatte die positive Eigenschaft des Erlebens eines Prozesses, der teilhabende Geduld forderte und förderte, und der letztendlich die Wahrnehmung schärfte.

So entstand also mein einziges detailreiches Foto von Hale-Bopp (Bild 3), auch wenn der Himmel in der Stadt sehr aufgehellt war. Zu sehen ist auf der Aufnahme an den Rändern auch der Kuppelspalt der altehrwürdigen Sternwarte, und mitten im schmalen Fenster stand der Komet: Groß und schön! Die Negative wurden im Februar 2018 gescannt und behutsam digital restauriert. Ein großes Dankeschön gilt Gabriela Noa und dem Team vom Euromediahouse Hannover für die wunderbaren Mittelformatscans.“

Ekkehard Gnadler, im März 2018

 

aufnahmedaten:

Zeitraum: April 1997
Kamera: Rolleicord, Baujahr 1958
Format: 6 x 6 cm, Mittelformat
Objektiv: Schneider-Kreuznach XENAR 75 mm
Blende: f/3,5
Schwarz-Weiß-Film Ilford HP 5 Plus